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Räumliches Lernen, Orientierung und Navigation

Wenn wir unbekannte Wege fahren oder gehen, führen uns Assistenz­systeme zum Ziel. Aber können wir dabei auch räumliches Wissen erwerben? Oder verlernen wir, uns zu orientieren?

Wir forschen zu der Frage, wie Raum­information im Gedächtnis repräsentiert ist – und welche Konsequenzen es hat, wenn wir Assistenz­systeme verwenden. Denn Orientierung geht darüber hinaus, das Ziel zu erreichen oder sich an einen Weg zu erinnern. Orientierung bedeutet, die Richtungen zu wichtigen, entfernten Orten zeigen zu können und diese Richtungen bei der Bewegung durch den Raum mental zu aktualisieren. Orientierung kann auch bedeuten, eine mentale Karte der Umgebung im Kopf aufzubauen. Mit Orientierung und mentaler Karte können wir Wege flexibel und autonom navigieren. Diese Fähigkeit sollte nicht verloren gehen.

Menschen verlassen sich zunehmend auf ihr Navigations­system. Wir haben im Jahr 2014 und im Jahr 2023 jeweils große repräsentativen Stichproben der deutschen Bevölkerung zur Nutzung von Navigations­systemen befragt. Die Nutzung insbesondere der Smartphone-Apps ist in diesem Zeitraum in allen Alters­gruppen gestiegen; auch bei älteren Personen sind die Assistenz­systeme jetzt verbreitet. Es fand sich weder 2014 noch 2023 ein Zusammenhang der Häufigkeit der Navi-Nutzung mit der gestuften Zustimmung (bzw. Ablehnung) der Aussage „Mein Orientierungs­sinn ist sehr gut“. Gefühlt scheint also eine häufige Navi-Nutzung für die eigene Orientierungs­fähigkeit ohne Konsequenz zu bleiben. Dagegen sprechen Forschungs­ergebnisse: Diese zeigen, dass man mit Navi-Assistenz tatsächlich weniger über die räumliche Umgebung lernt.

Navigations­systeme können folglich dazu beitragen, dass räumliches Lernen und Orientierung abgebaut werden – noch dazu unbemerkt. Assistenz­systeme von heute unter­stützen uns leider nicht bei der Orientierung. Das könnte aber geändert werden: Wie wir in unserer Forschung gezeigt haben, können bestimmte Visualisierungen (etwa zusätzliche Richtungs­informationen wie bei einem Kompass) zur Verbesserung der Orientierung beitragen. Unsererseits könnten wir mit den Informationen, die Navigations­systeme bieten, aufmerksamer und aktiver umgehen.

Von Interesse ist daher auch, wie die verfügbare Information genutzt wird. Deswegen unter­suchen wir in letzter Zeit, wie typische digitale Kartendarstellungen der Navigations­systeme gelesen werden und ob Routen­information daraus entnommen und gelernt werden kann. Dabei fokussieren wir weniger auf Eigenschaften der Navis, sondern viel mehr auf die Fähigkeit der Nutzer*innen. Durch Blickbewegungs­analysen, Einbeziehen räumlicher Fähigkeiten und auch durch gezielte Instruktion und Training erforschen wir die Leseprozesse und wollen die Kompetenz im Umgang mit den Navi-Systemen wieder verbessern.

Ansprech­partner: Prof. Dr. Stefan Münzer, Hatice Dedetas

Publikationen

Wissenschafts­kommunikation
Beiträge und Interviews zum Thema:
Spektrum.de (2015) „Schaden Navigations­systeme unserem Orientierungs­sinn?
BR4 (2025) „Mit Apps und Maps: Warum wir mit Navi die Orientierung verlieren

Ausgewählte wissenschaft­liche Publikationen zu diesem Thema
Fehringer, B.C.O.F., Münzer, S., Dedetas, H. (2025). Perspective taking ability is important in map reading for navigation – Unless you follow the instruction.Journal of Environmental Psychology, 103. http://doi.org/10.1016/j.jenvp.2025.102584

Münzer, S., Lörch, L., &  Frankenstein, J. (2020). Wayfinding and acquisition of survey knowledge with navigation assistance. Journal of Experimental Psychology: Applied. 26(1), 73-. DOI:10.1037/xap0000237

Krukar, J., Münzer, S., Lörch, L., Anacta, V .J. A., Fuest, S., & Schwering, A. (2018). Distinguishing sketch map types: A flexible feature-based classification. In: Creem-Regehr, S.; Schöning, J.; Klippel, A. (eds) 11th International Conference, Spatial Cognition 2018, LNAI 11034, pp. 279–292, http://doi.org/10.1007/978-3-319-96385-3_19

Anacta, VJ; Schwering, A; Li, R; Münzer, S. (2017): Orientation information in wayfinding instructions: evidences from human verbal and visual instructions. GeoJournal 82: pp 567–583. http://doi.org/10.1007/s10708-016-9703-5

Münzer, S., Fehringer, B.C.O.F., & Kühl, T. (2016a). Standardized norm data for three self-report scales on egocentric and allocentric environmental spatial strategies. Data in Brief, 8, 803–811. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.dib.2016.06.039

Münzer, S., Fehringer, B.C.O.F., & Kühl, T. (2016b). Validation of a 3-factor structure of spatial strategies and relations to possession and usage of navigational aids. Journal of Environmental Psychology, 47, 66–78.DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.jenvp.2016.04.017

Münzer, S., Zimmer, H. D., & Baus. J. (2012). Navigation assistance: A trade-off between wayfinding support and configural learning support. Journal of Experimental Psychology: Applied, 18(1), 18–37. DOI: 10.1037/a0026553

Münzer, S., & Stahl, C. (2011). Learning routes from visualisations for indoor wayfinding: Presentation modes and individual differences. Spatial Cognition and Computation, 11(4), 281–312. DOI: 10.1080/13875868.2011.571326

Münzer, S. & Hölscher, C. (2011). Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zu räumlichen Strategien (Development and validation of a self-report measure of spatial orientation). Diagnostica, 57 (3), 111–125. DOI: 10.1026/0012-1924/a000040